Schach & Geschichte: Der Siegeszug der Dame
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Schach ist ein Spiel von unendlicher Tiefe und strategischer Komplexität, das seit Jahrhunderten Menschen weltweit fasziniert. Es vereint Elemente von Kunst, Wissenschaft und Sport und bietet eine Arena, in der zwei Denker ihre taktischen Fähigkeiten messen. Jede Schachfigur auf dem Schachbrett hat ihre eigene Bedeutung und spezifische Bewegungsmuster, die zu einzigartigen Strategien führen.
Unter all diesen Figuren sticht jedoch die Dame als die stärkste hervor. Ihre Fähigkeit, sich sowohl horizontal, vertikal als auch diagonal über das gesamte Brett zu bewegen, verleiht ihr eine immense Macht. Doch das war nicht immer so. Wie kam es, dass die Dame, einst eine der schwächsten Schachfiguren, zur mächtigsten Kraft auf dem Schachbrett wurde? Welche historischen und kulturellen Einflüsse trugen zu dieser Transformation bei?
In diesem Blogbeitrag möchte ich die faszinierende Geschichte der Dame im Schach erkunden und die verschiedenen Faktoren beleuchten, die zu ihrer heutigen Vormachtstellung geführt haben könnten.
Geschichtlicher Hintergrund
Die Königin im Schach war ursprünglich als Beraterin oder Premierministerin bekannt, oft bezeichnet als Wesir. Dieser Titel hat seine Wurzeln im Sanskrit mantri, im Persischen farzīn und im Arabischen firzān, firz oder wazīr. Anfangs war die Bewegungsfähigkeit des Wesirs stark eingeschränkt, er konnte nur ein Feld diagonal ziehen. Doch um das Jahr 1300 wurde die Regel angepasst, sodass der Wesir in seinem ersten Zug zwei Felder diagonal springen konnte. Diese Änderung markierte den Beginn einer Transformation, die den Wesir im Laufe der Zeit zur Königin machte.
Die erste Erwähnung der Figur als Königin findet sich im lateinischen Begriff "regina" im Einsiedler Gedicht, einem mittelalterlichen Werk aus dem Jahr 997, das in einem Kloster in Einsiedeln, Schweiz, aufbewahrt wird. Bereits frühmittelalterliche Schachfiguren stellten den Wesir als Königin dar. Der ursprüngliche Begriff "fers" wurde in verschiedenen Sprachen grammatikalisch angepasst, um die weibliche Form zu betonen, wie z.B. "alferza" im Spanischen und "fierce" oder "fierge" im Französischen. In den Carmina Burana wird die Königin auch als "femina" (Frau) und "coniunx" (Gattin) bezeichnet, was die feminine Symbolik weiter stärkt.
Während der großen Schachreform im 15. Jahrhundert setzten katholische Länder weiterhin Begriffe ein, die an die Jungfrau Maria erinnerten, wie "dama" im Spanischen, "donna" in Italien und "dame" in Frankreich. Protestantische Nationen wie Deutschland und England mieden hingegen jede Verbindung zum Marienkult und wählten weltliche Begriffe wie "Königin" im Deutschen und "queen" im Englischen. Diese unterschiedliche Terminologie spiegelt die kulturellen und religiösen Divergenzen jener Zeit wider.
Im Russischen behielt die Schachfigur ihren persischen Namen "ferz", während umgangssprachlich auch "koroleva" (Königin) verwendet wird, jedoch nie von professionellen Schachspielern. Interessanterweise wird die Figur in arabischen Ländern weiterhin als Wesir bezeichnet und dargestellt, was ihre ursprüngliche Rolle und Herkunft betont.
Die Historikerin Marilyn Yalom identifiziert mehrere Faktoren, die zur Entwicklung der Schachfigur Königin beigetragen haben. Dazu zählen die Bedeutung mittelalterlicher Königinnen wie Eleonore von Aquitanien und Isabella I. von Kastilien, der Kult um die Jungfrau Maria, die Macht, die Frauen in der höfischen Liebe zugeschrieben wurde, sowie die Beliebtheit des Schachspiels bei Frauen, die es ihnen ermöglichte, auf Augenhöhe mit Männern zu spielen. Diese kulturellen Einflüsse halfen der Figur, ihre Identität und Macht im Schachspiel zu erlangen.
Die früheste Abhandlung über die moderne Bewegung der Dame wurde während der Herrschaft von Isabella I. von Kastilien veröffentlicht. Bereits zuvor beschrieb das valencianische Gedicht "Scachs d'amor" eine Partie mit den modernen Zügen der Dame und des Läufers. Die Dame wurde damals romantisch als überlebenswichtig für den König dargestellt, so dass ihr Verlust als ein großer Nachteil im Spiel betrachtet wurde.
Isabella I. von Kastilien
(Bildausschnitt aus dem Altarretabel der Kirche Colegiata de Santa María der Stadt Toro in Spanien)
Der moderne Zug der Dame, der in Spanien während der Herrschaft Isabellas I. begann, verbreitete sich durch die Erfindung des Buchdrucks und die Vertreibung der Juden aus Spanien im Jahr 1492, die diese neue Schachregel auf ihrer Flucht mitnahmen. Im Laufe des 15. Jahrhunderts entwickelte sich die Bewegungsfähigkeit der Dame zur heutigen Form, einer Kombination aus dem Zug des Turms und des Läufers. Diese neue Version des Schachs, die teilweise als "Damenschach" oder abwertend als "Schach der Verrückten" bezeichnet wurde, verbreitete sich schnell in ganz Europa, begünstigt durch die Beliebtheit neuer Schachbücher.
Einige Regeln schränkten die Möglichkeit ein, Bauern zur Dame zu machen, solange die ursprüngliche Dame noch auf dem Brett war, um keine "Skandale" zu verursachen, bei denen der König mehr als eine Dame hatte. In einem lateinischen Gedicht aus dem frühen 12. Jahrhundert wird ein Bauer, der zur Dame befördert wurde, als "ferzia" bezeichnet, im Gegensatz zur ursprünglichen Königin oder "regina". Es war üblich, den Gegner durch die Ansage "gardez la reine" oder einfach "gardez" zu warnen, wenn die Dame angegriffen wurde, ähnlich wie bei der Ansage von "Schach". Einige Regeln verlangten sogar diese Ansage, bevor die Dame legal geschlagen werden konnte, eine Praxis, die im 19. Jahrhundert weitgehend aufgegeben wurde.
In Russland konnte sich die Dame lange Zeit auch wie ein Springer bewegen, was einige Spieler missbilligten. Eine vergrößerte Dame mit diesen Fähigkeiten ist heute als Feenschachfigur "amazon" bekannt. Um 1230 wurde die Dame auch in Japan als Figur erfunden, wo sie Teil des Spiels Dai Shogi war und im Chu Shogi beibehalten wurde, obwohl sie im modernen Shogi keine Rolle mehr spielt.
Vermutungen über die Gründe der Regeländerungen
Die außergewöhnliche Macht der Schachfigur der Dame im modernen Schachspiel lässt sich durch eine Vielzahl historischer und kultureller Faktoren erklären, die von der Historikerin Marilyn Yalom detailliert untersucht wurden. Diese Gründe spiegeln nicht nur die Entwicklung des Spiels wider, sondern auch tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen, die sich über Jahrhunderte hinweg vollzogen haben.
Ein wesentlicher Faktor war die Bedeutung mittelalterlicher Königinnen wie Eleonore von Aquitanien und Isabella I. von Kastilien. Eleonore von Aquitanien, eine der einflussreichsten und mächtigsten Frauen des Mittelalters, spielte eine zentrale Rolle in der Politik ihrer Zeit. Ihre Regentschaft war geprägt von kluger Diplomatie und starker Führung. Isabella I. von Kastilien trug maßgeblich zur Vereinigung Spaniens bei und war eine treibende Kraft hinter der Finanzierung von Christoph Kolumbus' Entdeckungsreisen. Beide Königinnen repräsentierten ein Modell weiblicher Macht, das weit über traditionelle Geschlechterrollen hinausging. Ihre Fähigkeit, politische und militärische Entscheidungen zu treffen, könnte symbolisch in die Figur der Dame im Schach eingeflossen sein, die sich durch eine beispiellose Bewegungsfreiheit auszeichnet.
Der Kult um die Jungfrau Maria spielte ebenfalls eine entscheidende Rolle. Im mittelalterlichen Europa wurde Maria als die Mutter Gottes verehrt und galt als Symbol für Reinheit, Barmherzigkeit und Schutz. Diese Verehrung fand in vielen Aspekten des täglichen Lebens Ausdruck und könnte auch das Schachspiel beeinflusst haben. Die Dame im Schach könnte durch die Symbolik und Verehrung der Jungfrau Maria an Bedeutung gewonnen haben, indem sie nicht nur als weltliche Machtfigur, sondern auch als spirituelles Symbol verstanden wurde.
Eine Illustration aus dem Werk: "Repetición de Amores y Arte de Ajedrez con CL 150 Juegos de Partido", das im Jahre 1497 von Luis Ramírez de Lucena geschrieben und von Leonardo Hutz y Lope Sanz gedruckt wurde (Abbildung: Public domain, via Wikimedia Commons).
Es zählt als eines der ältesten überlieferten Schachbücher und wurde unter der Herrschaft von Isabella I. von Kastilien geschrieben.
Ein weiterer bedeutender Aspekt war die Macht, die Frauen in der höfischen Liebe zugeschrieben wurde. Die Troubadour-Tradition des Mittelalters idealisierte die Dame als Objekt der Anbetung und Verehrung. In der höfischen Liebe wurden Frauen oft als die dominierenden Figuren dargestellt, deren Gunst die Ritter suchten. Diese romantische Idealisierung der weiblichen Macht könnte ebenfalls zur Aufwertung der Schachfigur der Dame beigetragen haben. Sie repräsentierte nicht nur eine strategische Komponente im Spiel, sondern auch die hohe Wertschätzung und den Respekt, den Frauen in bestimmten gesellschaftlichen Kontexten genossen.
Schließlich spielte die Beliebtheit des Schachspiels bei Frauen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit war Schach eines der wenigen Spiele, bei dem Frauen auf Augenhöhe mit Männern konkurrieren konnten. Dies förderte nicht nur das Interesse am Spiel selbst, sondern auch die Akzeptanz einer mächtigen weiblichen Figur auf dem Schachbrett. Die Dame im Schach bot Frauen eine Möglichkeit, ihre strategischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen und gleichzeitig ihre gesellschaftliche Position zu stärken.
Eine weitere Besonderheit der Dame im Schach ist, dass sie neben dem König die einzige Schachfigur ist, über die ein Spieler einmalig verfügt. Eine Regeländerung, die darauf abzielt, das Spiel spannender und abwechslungsreicher zu gestalten, würde nur in der Schachfigur der Dame sicherstellen, dass das Spiel nicht zu sehr destabilisiert wird. Beträfe die Regeländerung hingegen den Springer, Läufer oder gar den Turm, so würden beide Spieler über gleich zwei übermächtige Schachfiguren verfügen – von den 8 Bauern pro Spieler ganz zu schweigen. Es kann also auch angenommen werden, dass neben der Dame keine andere Schachfigur mit einer derartigen Regeländerung die Weiterentwicklung des Schachspiels gefördert hätte. Zudem war die Dame in der damaligen Zeit die schwächste Schachfigur, was sicherlich viele Spieler allein bezogen auf ihren Nutzen gestört haben könnte.
Fazit
Die Regeländerungen, mit der die Dame zur mächtigsten Schachfigur auf dem Schachbrett wurde, waren bezeichnend für viele historische Ereignisse und kulturelle Entwicklungen. Bedeutende mittelalterliche Königinnen aber auch die Popularität und die Arbeit am Spiel selbst spielten eine zentrale Rolle bei dieser Transformation. Diese Regelanpassung verlieh dem Schachspiel mehr Dynamik und strategische Tiefe, indem sie neue taktische Möglichkeiten eröffnete. Zudem reflektierte die Stärkung der Dame den gesellschaftlichen Wandel und die wachsende Anerkennung der Rolle der Frau. So wurde das Schachspiel nicht nur spannender, sondern auch symbolisch bedeutsamer, indem es die Gleichstellung der Frau betonte.
Vielen Dank für deine Interesse an den Regeländerungen der Dame im Schach. Solltest du noch weitere Fragen haben, so schreibe mir gerne über mein Kontaktformular. Und solltest du Schachfiguren oder Schachbretter in Turnierformat benötigen, so schau gerne einmal in meinem Sortiment vorbei.
Ich wünsche dir viel Spaß am Spiel, viel Erfolg und zügige Fortschritte beim Lernen.
Bis bald.
Stefan