Schach & Geschichte: Die Staunton-Schachfiguren
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Das heute in aller Welt verbreitet Schachfiguren-Design „Staunton“ hat seinen Ursprung in England des Jahres 1849. Mitte des 19. Jahrhunderts waren gängige Schachfiguren mit aufwendigen von Hand geschnitzten Verzierungen versehen und hatten einen hohen dekorativen Anspruch. Diese Kunstform machte Schachfiguren zu einem wertvollen und somit auch hochpreisigen Vergnügen, an dem nur wohlhabende Bürger teilhaben konnten. Spieler, die hingegen mehr Wert auf die Handhabung der Figuren legten, bemängelten, dass diese zerbrechlich, oftmals schwer voneinander zu unterscheiden und auf dem Schachbrett unhandlich zu bewegen seien. Die dekorativen Eigenschaften der Figuren hinderten sie an einem tauglichen Einsatz als Wettkampffiguren, da eine gute Greifbarkeit der Ästhetik weichen musste.
Bezeichnungen einiger der damaligen Schachfigurendesigns
- Barleycorn
- Calvert
- Edinburgh
- Isle of Lewis
- Lund
- Merrifield
- Saint George
- Selenius
Barleycorn-Schachfiguren aus dem frühen 19. Jahrhundert
Da Schach jedoch auf der Wettbewerbsebene nach wie vor sehr populär war, nahm die Nachfrage nach wettkampftauglichen und robusterem Schachequipment zu. Der Unternehmer Nathaniel Cook erkannte das Geschäftspotenzial und meldete im Frühjahr 1849 ein von John Jaques entworfenes Schachfiguren-Design zum Patent an. Jaques war ebenfalls ein Geschäftsmann und sehr erfahren auf dem Gebiet der Elfenbeindreherei, weshalb auch ihm die Beschwerden der Schachspieler zu Ohren gekommen waren. Sein Talent und seine Erfahrung im Umgang mit Elfenbein übertrug er auf die Holzverarbeitung, um ein Schachfigurendesign zu entwerfen, das schlichtere Formen aufwies und einfacher zu produzieren war. Um die Schachfiguren zu bewerben, gewann Cook den zur damaligen Zeit stärksten Schachspieler der Welt für sein Vorhaben: Howard Staunton. Dieser unterschrieb die Echtheitszertifikate für die Schachfiguren-Sets und verhalf mit seiner Namensgebung den Figuren zum Durchbruch. Zudem war Staunton selbst sehr engagiert, seine Berühmtheit zu nutzen und die nach ihm benannten Schachfiguren über alle Maße zu loben, während er andere Figuren auf dem Markt stets zu verunglimpfen wusste.
Schachfiguren im Staunton-Design um 1853
Aufgrund der günstigeren Produktionskosten und niedrigeren Preise sowie der daraus resultierenden breiteren Verfügbarkeit wurden die Staunton-Schachfiguren weltweit berühmt und verhalfen auch dem Schach als Spiel zu einer noch höheren Bekanntheit. 1924 erwählte sogar die World Chess Federation FIDE die Staunton-Schachfiguren offiziell zum Turnierstandard für alle zukünftigen Schachwettbewerbe. Da Staunten-Schachfiguren in einer Vielzahl von Varianten daherkommen, gibt es einige Merkmale, die eine Identifikation des Designstils zulassen. Diese haben sowohl einen historischen als auch symbolischen Hintergrund, der sich in der Erscheinung der einzelnen Figuren äußert.
Die Schachfiguren und ihr gesellschaftlicher Stand
Das Design der Staunton-Schachfiguren ist eng angelehnt an die Neoklassische Architektur, die ab Mitte des 18. Jahrhunderts populär wurde. Aus diesem Grund wirken die Figuren statuenhaft und haben eine hohe Ähnlichkeit mit geschichtlichen Szenenbildern altertümlicher Gebäudefassaden. Da viele Architekten der damaligen Zeit zudem ihre Inspiration für die neoklassische Strömung aus den griechischen und römischen Baustilen gewannen, kann der Ursprung des Staunton-Designs bis auf diese Epochen zurückgeführt werden. Mit Ausnahme der Bauern zielt die Symbolik der einzelnen Figuren auf die gehobene Gesellschaft des Viktorianischen Zeitalters ab und soll politische sowie gesellschaftliche Würdenträger symbolisieren. Diese Personifizierung ist auch ein wesentlicher Grund für die Beliebtheit des Schachspiels. Jeder Schachspieler, unabhängig von seinem Stand oder seiner Herkunft, sollte die gesellschaftlichen Strukturen in dem Spiel wiedererkennen und interpretieren können. Doch wie Bildet man einen gesellschaftlichen Status oder einen politischen Verantwortungsbereich in einer Holzfigur ab? Zudem noch in einer möglichst einfachen Form und einer günstigen Produktion? Für das Design der Staunton-Schachfiguren interpretierten Jaques und Cook die bereits bestehenden Figurenformen auf dem Markt neu und minimalisierten deren Verzierungen, während sie gleichzeitig die Merkmale mit der höchsten Differenzierungskraft stärker betonten. Die Figuren standen nicht mehr auf Säulen, sondern hatten stattdessen eine breitere, stabilere Basis. Nach oben hin wurden die Figuren in der Regel etwas schmaler, um das Greifen und Führen der Figuren zu vereinfachen. Zudem hatte jede Figur noch individuelle Eigenschaften, die ich im Folgenden gerne erläutern möchte.
Das Design und der soziale Status des Königs
Der König ist die wichtigste und zugleich auch hilfloseste Schachfigur auf dem Brett. Dies spiegelt sich vor allem in seinem Bewegungsmuster wider, das nur sehr eingeschränkt und wenn, dann nur mit Unterstützung durch seine Untergebenen erfolgversprechend ist. Er präsentiert sich in seiner gleichnamigen Rolle als König und nutz als Symbolik dementsprechend die Form einer Krone mit einem nach oben ragenden Kreuz. Durch dieses soll die Verbundenheit der Monarchie mit dem Christentum herausgestellt werden, was sich historisch wiederum auf die Legitimation der Monarchie durch das Gottesgnadentum stützt. Der König stellt zudem die größte Figur auf dem Feld dar und seine Höhe wird als Verhältnismaßstab für die Größeneinordnung des Schachfigurensets herangezogen.
Das Design und der soziale Status der Dame
Obwohl die Frau zur damaligen Zeit deutlich weniger Rechte hatte als der Mann, so ist es doch die Dame, die zur mächtigsten Figur auf dem Schachbrett wurde. Diese Machtposition hielt sie jedoch nicht immer inne. Erst im Mittelalter um das Jahr 1490 wurde ihr Regelwerk gestärkt, was höchstwahrscheinlich auf die Vielzahl an Königinnen zurückzuführen ist, die in dieser Zeit an der Macht waren. Zuvor durfte die Dame nur ein abgeschwächtes Bewegungsmuster des Läufers nutzen – ein Feld in eine der diagonalen Richtungen. Ähnlich wie auch der König, zeichnet sie sich durch ihre Kopfbedeckung aus. Dabei trägt sie ein Diadem, welches sie durch nach außen abragende Zacken von den Erscheinungsmerkmalen des Königs und seiner Königskrone abgrenzt. Zudem ist sie etwas kleiner als der König und wirkt in ihren Formen schmaler und eleganter. Einige Staunton-Varianten setzen dem Diadem eine rosenartige Wölbung hinzu, was die Weiblichkeit betont und etwas wertiger erscheinen soll. Wenn auch auf Turniereben nicht üblich, werden Staunton-Schachfigurensets immer öfter mit zusätzlichen Damen ausgeliefert, um im Falle einer Bauernumwandlung eine zweite Dame auf dem Schachbrett darstellen zu können.
Die ersten Regelanpassungen zur Dame wurden
unter der Herrschaft von Isabella I. von Kastilien vorgenommen (unten rechts)
Das Design und der soziale Status des Turms
Der Turm verkörpert die Grundfesten einer Gesellschaft und beide Türme im Verbund symbolisieren eine nur schwer zu durchdringende Mauer entlang der Linie eines Schachbrettes. Er verfügt über keine besonderen Verzierungen, doch durch seine schlichte und massive Form strahlt er Sicherheit und Unnachgiebigkeit aus. Da er als einzige Schachfigur ein Bauwerk darstellt, drückt seine Erscheinung auch deutlich die eingangs beschriebene Neoklassische Architektur aus, während andere Schachfiguren ihre Verkörperung aus der hierarchischen Differenzierung der Gesellschaft beziehen.
Das Design und der soziale Status des Läufers
Die Gestaltung des Läufers ist der Kopfbedeckung eines Bischofs nachempfunden. Diese sogenannte Mitra trägt eine spitzenartige und doppelhörnige Form, die nach Erasmus von Rotterdam „[…] die gleichmäßig vollkommene Kenntnis des Alten und Neuen Testamentes“ symbolisieren soll. In der Verarbeitung der Figur wird die Mitra mit einer von oben in den Figurenkopf hereinragenden Kerbe verbildlicht. Das Figurendesign des Läufers soll über diese Symbolik die Geistlichkeit und den Glauben in einer Gesellschaft bzw. in einem Königreich repräsentieren. Die Funktion des bischöflichen Beraters kann im Schach durch seine direkt an den König und die Dame angrenzte Startposition gedeutet werden. Und da mehrere Berater auch unterschiedliche Meinungen vertreten können, ist es auch nicht verwunderlich, dass die Läufer stets auf unterschiedlich farbigen Feldern wandern.
Die Gestaltung des Läufers ist an die Mitra angelehnt
Das Design und der soziale Status des Springers
Die prägendste Figur eines Schachsets ist der Springer. Das liegt vor allem daran, dass seine Form als einzige nicht achsensymmetrisch gedreht, sondern aufwendig von Hand geschnitzt wird. Die Darstellung des Springers folgt einem Pferd, genauer gesagt die eines Hengstes. Durch diesen soll die Tugend der Ritterlichkeit zum Ausdruck gebracht und eine Verbindung zu der im Rittertum verankerten Kavallerie geschaffen werden. Der Designursprung dieses Hengstes liegt in den überlieferten Marmorstatuen der griechischen Steinbildhauerkunst, wie sie an den Parthenon-Marmoren im Britischen Museum in London üblich waren und es auch heute noch sind. Die militärstrategische und militärtaktische Ausrichtung des Ritterstandes wird hingegen durch das komplexe Bewegungsmuster des Springers abgebildet. Er zieht nicht in eine Richtung, sondern springt in einem L-Muster und kann dabei auch Figuren überspringen. Sowohl das Muster selbst als auch die Eigenschaft, nicht von gegnerischen und nur auf dem Zielfeld von verbündeten Figuren geblockt werden zu können, versinnbildlicht hierbei das militärische Überraschungsmoment.
Abbildung zweier Reiter auf den Elgin-Marmoren
Das Design und der soziale Status des Bauern
Das Design des Bauern ist sehr schlicht gehalten und definiert sich über seinen runden Kopf auf einem kegelartigen Körper. Seine Erscheinung hat hohe Ähnlichkeit mit der Architektur von Rundtürmen aus der Viktorianischen Epoche, ein direkter Zusammenhang ist jedoch nicht gesichert belegt. Auch über die Symbolik des Bauern im gesellschaftlichen Kontext ist nur wenig bekannt. Ein Vergleich mit den anderen Schachfiguren zeigt jedoch auf, dass sich die gesellschaftliche Stellung aller anderen Figuren von der Gestaltung ihrer Kopfformen ableiten lässt. Beim Bauern ist dies nicht der Fall, da die Kugelform neutral gehalten ist und keinerlei Anhaltspunkte für einen gesellschaftlichen Verantwortungsbereich oder einer bestimmte Funktion aufzeigt. Da Bauern jedoch im Schach der damaligen Zeit den Stellenwert einer Opfergabe hatten und stets in den Angriff gezogen wurden, kann die freie und neutral gehaltene Kopfform des Bauern als Symbolik für seinen niederen Stand und seine Austauschbarkeit gedeutet werden. Mit der zunehmend strategischen Denkweise im Schach hat sich auch eine Spielweise entwickelt, die den Wert des Bauern mehr zu schätzen weiß und die Bildsprache des Untergebenen gewissermaßen abschwächt. Heute sind Bauern die wesentlichen Strukturelemente auf einem Schachbrett. Sie werden nicht unüberlegt als Opfer in den Angriff gezogen, sondern in den meisten Spielen langfristig gehalten, um Angriffe fokussieren und im Endspiel die gegnerische Verteidigung durchbrechen zu können. Dabei kommt eine schöne Ironie zum Vorschein: Obwohl Schach als das Spiel der Könige bezeichnet wird, so sind es gerade die hierarchischen Strukturen auf die sich ein Königreich stützt, die im Laufe der Schachgeschichte immer weniger über die Spielweise zum Ausdruck kamen. Schach ist an einen Punkt angekommen, an dem es sich kein Schachspieler mehr erlauben kann, seinen Bauern nicht die gleiche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, wie seinem König.
Ich hoffe, dass ich dir eine gute Übersicht und ein paar Interessante Einblicke über die Staunton-Schachfiguren und ein paar geschichtliche Hintergründe geben konnte.
Bei Interesse am Erwerb eines Staunton-Sets, schau gerne einmal in meinem Sortiment an Staunton-Schach-Sets und Staunton-Schachfiguren vorbei.
Ich wünsche dir viel Spaß am Spiel, viel Erfolg und zügige Fortschritte beim Lernen.
Bis bald.
Stefan